Archiv Im Fokus: Nachkriegsmoderne
“Neue” alte Grundsätze für die Konservierung der Bauten der Nachkriegsmoderne
Veröffentlichung: 22.04.2015, letzte Bearbeitung: 15.07.2021
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Der denkmalpflegerische Umgang mit der Architektur der Moderne, speziell derjenigen der Nachkriegsmoderne, ist unverändert ein Thema, das der Aufklärung bedarf. Nur mühsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass auch Zeugnisse der Nachkriegszeit denkmalwürdig sein können. Immer noch stößt man auf das Vorurteil, die Denkmalpflege habe sich um die ehrwürdigen alten und besonders um die schönen Zeugnisse zu kümmern. Obwohl es einige Architekturikonen der klassischen Moderne inzwischen geschafft haben, einen gewissen Respekt auch in der breiten Öffentlichkeit zu erhalten, so zum Beispiel das Bauhaus in Dessau oder das Fagus-Werk in Alfeld, die beide sogar Weltkulturerbe der UNESCO geworden sind, bleibt eine große Skepsis gegenüber einem breiter angewendeten Denkmalbegriff und einer Ausweitung auch auf die Architektur der Nachkriegszeit. In der Fachwelt herrscht hier natürlich schon lange weitgehend Konsens darüber, dass die Denkmalerfassung nie aufhört, man jede abgelaufene Dekade mit einem gewissen zeitlichen Abstand von etwa einer Generation (30 Jahre) einer Bewertung zu unterziehen hat und jede Epoche ihr Recht auf Denkmäler hat. Denkmalpflege ist nämlich greifbare Geschichtsschreibung, die die materialisierten Zeugnisse unserer Vergangenheit zu erhalten und sich natürlich auch um die jüngere Vergangenheit zu kümmern hat. Argumente, dass es wohl keine gesellschaftliche Mehrheit für den Erhalt von zu ihrer Zeit stadtzerstörerisch entstandenen und sich dem gängigen Schönheitsbegriff widersetzenden Bauten gäbe, kann man nicht gelten lassen. Die institutionelle Denkmalpflege ist autorisiert, ihr fachliches Votum auch gegen eine gesellschaftliche Mehrheit vorzutragen und notfalls durchzusetzen, denn fachliche Erkenntnisse brauchen oftmals eine gewisse Zeit, bis sie sich allgemein verbreitet haben. Dafür müssen wir durch Inwertsetzung dieser Bauten und die Vermittlung ihrer spezifischen Denkmalwerte ständig arbeiten. Es kann der Denkmalpflege nicht ausreichen, lediglich die Fachwelt überzeugt zu haben, es muss ihr auch gelingen, eine möglichst breite Öffentlichkeit von der Denkmalwürdigkeit auch der Nachkriegsbauten allgemein zu überzeugen. Nur durch Denkmalvermittlung kann auch die Akzeptanz für den notwendigen Einsatz zum Erhalt dieser modernen Zeugnisse erreicht werden. Ein demokratisches Grundprinzip ist aber auch der Minderheitenschutz, den man für die noch nicht allgemein verständlichen Bauten der Nachkriegszeit unbedingt reklamieren sollte.
Seit inzwischen weit über 20 Jahren bemühen sich die unterschiedlichen Einrichtungen der Denkmalpflege, die Landesdenkmalämter, die Vereinigung der Landesdenkmalpfleger, das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz und die Hochschulen um diese Thematik. Am Beginn standen zunächst der baugeschichtliche und allgemeine historische Zeugniswert im Mittelpunkt der Vermittlungsbemühungen. Der besondere Formwille, die modernen konstruktiven Lösungen und ästhetischen Qualitäten sowie die programmatischen Erscheinungen wurden aufgearbeitet, und ihr besonderer Wert wurde begründet. Mit zu den frühesten Initiativen dieser Art zählt eine Fachtagung im Februar 1990 in Hannover (publiziert als Band 41 der Schriften des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz), bei der neben der notwendigen Erforschung der Qualitäten dieser Architektur auch bereits die Probleme der Erhaltung angesprochen wurden. Für Bremen machte die Publikation »Flugdächer und Weserziegel« von 1990 den Auftakt dieser Bemühungen, die Erhaltungs- und Denkmalwürdigkeit der Nachkriegsarchitektur zu vermitteln. Kaum zeigten sich erste Erfolge darin, die Qualitätsmerkmale und die Bedeutung moderner Architektur zu vermitteln und den Erhaltungswillen allmählich zu verstärken, gab es Rückschläge und Zweifel aufgrund erster Erfahrungen mit Sanierungen von Bauten dieser Zeit. Unerwartete technische Probleme mit schlecht alternden Materialien und bautechnisch fehlerhafte Ausführungen warfen plötzlich die Frage auf, ob die Moderne überhaupt nach den denkmalpflegerischen Grundsätzen der Substanzerhaltung und der materialgerechten Reparatur sanierbar sei. Stimmen wurden laut, auch aus den Reihen der Denkmalpfleger, dass denkmalwürdige Objekte der Moderne nach einer Sanierung so viel Originalsubstanz verlieren würden, dass sie nicht mehr als authentische Denkmäler gesehen werden können, die Unterschutzstellung von Nachkriegsarchitektur somit quasi sinnlos sei.
Es waren nicht nur die Änderungswünsche der Nutzer und das veränderte ästhetische Empfinden, nicht nur die energievergeudenden Konstruktionen, sondern besonders die großen Probleme mit Materialermüdungen und Schäden bei Vorhangfassaden oder die großen Sanierungsprobleme bei Betonbauten, die in der Frage gipfelten: »Ist die Moderne überhaupt konservierbar?« Es war die Rede davon, dass die Moderne das Altern nicht vertrage, da sie auf eine von Architekten geformte Ästhetik festgelegt sei und Patina ihr schade. So ist im Grunde bis heute der Stand, dass man der Architektur der Moderne nachsagt, sie würde sich Sanierungen nach denkmalpflegerischen Standards verweigern. Ob dies wirklich so ist, soll im vorliegenden Beitrag erörtert werden. Dabei stellen sich die Fragen nach Substanz- und Bilddenkmalpflege, nach der Rangstufe eines Denkmals und den damit verbundenen Möglichkeiten der zukünftigen Nutzung sowie nach dem Aufwand bei Sanierungen. Zunächst muss festgestellt werden, dass es natürlich Unterschiede in der Wertigkeit von Denkmälern gibt und die Denkmäler entsprechend dieser Bedeutung behandelt werden. Obwohl (fast) alle Denkmalschutzgesetze nur eine Stufe des Denkmals kennen und die Denkmalpflege hartnäckig eine Kategorisierung ablehnt, gab es schon immer auch einen differenzierenden Umgang mit den verschiedenen Denkmälern. Mit Objekten von überregionaler, nationaler oder gar internationaler Bedeutung wird man anders umgehen können, als mit nur lokal wichtigen Zeugnissen der Ortsgeschichte. Wenn sich Stiftungen oder die öffentliche Hand der hochrangigen, herausragenden Architekturikonen annehmen, diese sozusagen den Zwängen des normalen Alltags entziehen, kann man mit ihnen anders umgehen als mit dem »normalen« Denkmal. Musealisierte Objekte, bei denen es keine oder reduzierte Nutzerwünsche und keine Nutzungszwänge gibt, Objekte, bei denen die Frage nach den Kosten der Sanierung nicht als »Gretchenfrage« nach wirtschaftlicher Zumutbarkeit im Vordergrund steht, haben es natürlich einfacher als all die anderen Denkmäler des Alltags, für die die Denkmalpflege verzweifelt eine neue Nutzung sucht, um eine wirtschaftlich vertretbare Erhaltung zu erreichen. Die bei solch herausragenden Objekten praktizierten Standards können deshalb nicht auf den Konservatorenalltag übertragen werden. Insofern ist es für das Tagesgeschäft des Denkmalpflegers auch nur bedingt hilfreich, dass sich bei exponierten Pilotprojekten die Sanierbarkeit der Moderne nach hohen denkmalpflegerischen Ansprüchen hat nachweisen lassen. Wenn zum Beispiel, von der Wüstenrot-Stiftung finanziert, die Fagus-Werke in Alfeld, die Kongresshalle in Berlin, der Kanzlerbungalow in Bonn, die Bauhaus-Gebäude in Dessau oder Wohnhäuser der Weißenhofsiedlung in Stuttgart vorbildlich und substanzschonend instand gesetzt wurden und dabei marode Putze und Oberflächen, desolate konstruktive Details oder verrottete und korrodierte Metallteile behutsam aufbereitet und restauratorisch behandelt wurden, so ist dies vorbildlich und erfreulich, ist aber nicht das Niveau, das man immer und überall erreichen kann. So viel Realitätssinn, dies zu erkennen, muss man haben.
Schaut man aber bei diesen vorbildlichen Sanierungen genauer und kritisch hin, so ist selbst bei diesen Objekten, die mit hohem fachlichen Betreuungsaufwand, großem finanziellen Engagement und dem Ziel, sie als musealisiertes Denkmal ihrer selbst von größeren Nutzungszwängen zu befreien, behandelt wurden, einiges an Substanz erneuert und ausgetauscht worden. Der Praktische Denkmalpfleger weiß genau, dass dies nicht zu vermeiden und im Grunde genommen ein normaler Vorgang ist. Reparaturen durch Substanzaustausch sind seit alters her denkmalpflegerische Methode. So sind jahrhundertelang unsere Dome von den Dombauhütten behandelt worden. An klassischen Denkmälern wird Steinaustausch entweder als kleinere Vierung oder auch großflächig betrieben, manchmal mehr, so bei schlechten und stark witternden Steinvarietäten, manchmal weniger bei harten Materialien. Wie viele Dächer an Denkmälern haben noch ihre originale Deckung? Ob Ziegel, Kupfer oder Reet, zahlreiche Dachoberflächen und auch Dachkonstruktionen mussten bei historischen Instandsetzungen oder jüngeren denkmalpflegerischen Maßnahmen ganz oder teilweise erneuert werden. Wie viele Fachwerke – zumindest die Ausfachungen – sind umfassend ausgetauscht worden, und wie viele Putze konnten nicht mehr repariert werden und sind, hoffentlich wenigstens nach historischen Rezepturen, aber dennoch neu aufgebracht worden. Wie viele Fenster sind vollständig erneuert worden, weil die Reparatur von stark geschädigten Hölzern nicht mehr möglich war. Dabei spielt es eigentlich keine Rolle, ob das alte Fenster 300 Jahre, 100 Jahre oder nur 60 Jahre gehalten hat. Neu ist neu! Immer wieder huldigen wir der Substanz und übersehen dabei, dass wir es oftmals mit bereits umfassenden Erneuerungen des 19. oder frühen 20. Jahrhunderts zu tun haben, wir also ohnehin nur noch die Kopie oder Rekonstruktion pflegen. Dies sind die berühmten Zeitschichten, die wir bewusst würdigen, da sie Umgangsspuren nachbauzeitlicher Phasen sind und deshalb einen eigenen Denkmalwert besitzen können. Nun werden wir gezwungen, eine material- und bildgerechte neue Schicht durch Erneuerung hinzuzufügen. Dies werden die Schichten des frühen 21. Jahrhunderts. Aber selbstverständlich bleibt dennoch der Grundsatz bestehen, solange wie möglich die Originalsubstanz, oder sagen wir besser die alte Substanz, zu halten und sie erst, wenn es nicht mehr anders geht, auszutauschen.
Dies bedeutet, dass wir eigentlich keine veränderten denkmalpflegerischen Grundsätze für Bauten der Moderne brauchen, sondern wir müssen diese bestehenden Grundsätze flexibel anwenden, und wir dürfen uns nicht selbst etwas vormachen. Eine dogmatische Substanzdenkmalpflege war immer eine Fiktion, denn zum Grundsatz der Reparatur gehörte auch der Austausch von abgängigen Materialien und Details. Und Denkmalpflege war somit immer die Gratwanderung zwischen Substanzdenkmalpflege und Bilddenkmalpflege. Damit soll nicht leichtfertig dem großflächigen Austausch von Originalsubstanz das Wort geredet werden, schon gar nicht, wenn es nur um Patina oder Alterserscheinungen geht. Wenn aber nach sorgfältiger Prüfung und Abwägung aller Umstände (bautechnischer Zustand, Denkmalwert, zukünftige Nutzung und wirtschaftliche Möglichkeiten) festgestellt wird, dass eine großflächige Erneuerung notwendig ist, um das Denkmal in seiner Erscheinung zu bewahren, so muss dieser Weg beschritten werden. Dies gilt aber ausdrücklich nicht, um die Alterungsspuren zu beseitigen und die über die Architekturfotografie uns vermittelte Neubauästhetik, die das Bild der Moderne prägt, wiederherzustellen.
Und keinesfalls darf die Sanierungsproblematik als Vorwand genommen werden, der Moderne, speziell der Nachkriegsmoderne, die Denkmalfähigkeit grundsätzlich abzusprechen. Dies gilt umso mehr, als die Moderne selbst das handwerklich individuell Geschaffene zurücktreten ließ gegenüber den industriell und seriell hergestellten Teilen des Bauwerks. Somit kann auch eine technisch reproduzierte Wiederherstellung der Fassade ebenso gerechtfertigt werden, wie man zum Beispiel die Erneuerung eines Kalkputzes befürwortet, wenn er nach historischer Rezeptur und nach überlieferten Methoden aufgebracht wird. Denkmalpflegerische Grundsätze sind also auch auf die Moderne anwendbar, und genau dies wird von pragmatischen Denkmalpflegern inzwischen betrieben.
Denkmalpflegerische Grundsätze sollten nicht theorielastige Gedankenkonstrukte sein, die in der aktuellen Praxis nicht umsetzbar oder an manchen denkmalwürdigen Zeugnissen nicht wirklich anwendbar und durchzuhalten sind und damit ganze Denkmalgruppen ausgrenzen würden. Mit der Veränderung der Denkmalwelt müssen sich auch die Grundsätze verändern. Es sollten sich also vielmehr aus den konkreten praktischen Anforderungen heraus angepasste Grundsätze bilden, die dann wiederum allgemeine Anwendung finden können. So geschah es auch Ende des 19. Jahrhunderts, als die bekannten und berühmten Protagonisten unseres Faches an konkreten Fällen Fehlentscheidungen und falsches Handeln zum Nachteil von Denkmälern zum Anlass nahmen, Grundsätze zu formulieren, die sich an den aktuellen Gegebenheiten orientierten. Diese entwickelten Positionen haben sich weitestgehend bewährt und sollten auch nicht grundsätzlich infrage gestellt werden, dürfen aber von Zeit zu Zeit darauf überprüft werden, ob sie eventuell kleinerer Korrekturen bedürfen. Anlass hierfür sind Umstände und Entwicklungen sowie Probleme, von denen zum Beispiel ein Georg Dehio noch nichts ahnen konnte. Die Rahmenbedingungen haben sich vielfach verändert, und die Denkmalpflege als Teil unserer Gesellschaft muss sich auch auf diese Veränderungen einlassen. Dazu zählen wirtschaftliche, rechtliche, bautechnische und gesellschaftliche Fragestellungen. Alles steht in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis, und es muss eine Abwägung aller Faktoren erfolgen. Unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung, gerade was die wirtschaftliche Zumutbarkeit betrifft, und unter Berücksichtigung eines zu Recht erweiterten Denkmalbegriffs und der damit einhergehenden Differenzierung zwischen Denkmälern lokaler Bedeutung und solchen von nationalem oder internationalem Rang, werden auch die Anforderungen abzustufen sein. Wenngleich die Denkmalpflege die geschichtlichen Abläufe letztlich immer nur exemplarisch abbilden und dokumentieren kann, versteht man eine Epoche nicht, wenn man nur deren Leuchttürme erhält und die Dokumentation auf zu wenige Denkmäler beschränkt. Man braucht vielmehr ergänzend immer auch den Erhalt von Zeugnissen aller Lebensbereiche, aller Bautypen und aller lokaler Besonderheiten, um die Komplexität menschlicher Lebensumstände erinnerbar zu halten. Architekturikonen können dabei immer noch eine Sonderstellung einnehmen, aber sie dürfen nicht allein stehen. So war es natürlich klar, dass sich an dem mit externer finanzieller Unterstützung zum Museum der Geschichte umfunktionierten Kanzlerbungalow in Bonn die Nutzung an den Bestand anzupassen hatte. Hier wurde ein herausragendes historisches Zeugnis inszeniert. Wenn man aber den Denkmalschutz der Nachkriegszeit nicht allein auf solche herausragenden Zeugnisse beschränken will – und das kann im Ernst niemand wollen – sondern auch die besonderen, aber doch nur regional wichtigen Bauten erhalten möchte, so muss man abgeschwächte Standards entwickeln und angepasste und modifizierte Umgangsgrundsätze akzeptieren. Dabei wird es eine Verschiebung von der Substanzdenkmalpflege zur Bilddenkmalpflege geben müssen, was, wie oben beschrieben, angesichts einer immer wieder doch praktizierten großflächigen Erneuerung von Teilen auch bei klassischen Denkmälern wahrscheinlich noch nicht einmal einen Widerspruch zu bisherigen denkmalpflegerischen Grundsätzen darstellt.
Die meisten Denkmäler müssen, wenn sie eine Erhaltungschance haben wollen, sinnvoll genutzt werden, und dabei sind neben der Wirtschaftlichkeit und den spezifischen Nutzerwünschen heutzutage u. a. Probleme des Brandschutzes, des Schall- und Wärmeschutzes, übrigens auch der Barrierefreiheit, wichtige zu berücksichtigende Anliegen. Deutschlandweit gibt es viele erfolgreiche Ansätze, auch an den problematischen Bauten der Nachkriegsmoderne mit Reparatur und restauratorischen Methoden die Materialvielfalt und die schwierigen Alterungsprozesse denkmalgerecht zu behandeln und Verbesserungen auch gerade im energetischen Bereich zu erreichen. Auch in Bremen konnte das Landesamt für Denkmalpflege Erfahrungen sammeln, bei denen deutlich wurde, dass bei zeitgemäßer und wirtschaftlicher Nutzung der Denkmäler ein gewisses Abweichen von denkmalpflegerischen Wunschvorstellungen unvermeidbar ist. So waren Kompromisse unerlässlich, dank derer aber wichtige Zeugnisse der Nachkriegsarchitektur erhalten und zeitgemäße Nutzungen gefunden wurden. Diese Kompromissfähigkeit hat sich an einigen Sanierungsprojekten in Bremen geschärft, bei denen immer mit großer Nachdenklichkeit die Frage gestellt wurde, wie viel Substanz kann mit vertretbarem Aufwand erhalten werden und wie hoch sind der Bildwert und die historische Botschaft im Gegenzug einzuschätzen.
Jeder Praktische Denkmalpfleger kennt die verheerenden Zustände der unterschiedlichen Materialien, die gerade an Vorhangfassaden anzutreffen sind. Immer wieder sind es Korrosionen und Materialermüdungen von metallischen Fassadenelementen oder starke Korrosionsprobleme von Betonbewehrungen an Nachkriegsbauten. So waren die Betonbrüstungen am Aalto-Hochhaus in der Neuen Vahr, das 1960 bis 1963 als 22-geschossiges Wohnhochhaus für alleinstehende Berufstätige als ein sogenanntes Feierabendhaus errichtet wurde, so schwerwiegend, dass große Teile der mit Carrara-Marmor durchmischten Betonwerksteine nachgegossen und ersetzt werden mussten. Am ehemaligen Amerikanischen Generalkonsulat, das 1952 bis 1953 von dem berühmten Büro Skidmore, Owings & Merrill als Verwaltungsgebäude für die amerikanische Besatzungsmacht erbaut wurde, waren die dem schlanken Stahlskelettstelzenbau vorgehängten Fassadenelemente als Stahlrahmenkonstruktion verzogen, korrodiert und verrottet, sodass auch hier ein großflächiger Austausch der kompletten Fassadenelemente notwendig wurde. Die historische Botschaft dieses Bauwerks sowie die technische Konstruktion lassen sich aber auch an diesem somit sehr stark erneuerten Gebäude nachvollziehen. Ähnliches begegnete der bremischen Denkmalpflege bei der Sanierung des Staatsarchivs, eines modernen Funktionsbaus, der 1964 bis 1967 nach Plänen von Alfred Meister errichtet wurde. Hier sind sowohl das Verwaltungsgebäude, ein Atriumbau mit einer vorgehängten Aluminiumfassade, als auch der eigentliche Archivturm, der mit persischen Travertin-Platten verkleidet war, umfangreich erneuert worden. Material- und konstruktionsgerechte Erneuerung war der einzige Weg, dieses Bauwerk der Nachwelt zu erhalten.
Es ist und bleibt eine Gratwanderung und eine Abwägung, die im Einzelfall getroffen werden muss. Ziel der Denkmalpflege muss es bleiben, so viel wie möglich Originalsubstanz zu erhalten und dies durch Reparatur zu erreichen. Dennoch wird es im Konservatorenalltag auch immer wieder unumgänglich sein, bei Zeugnissen der Nachkriegsarchitektur einen großflächigen Austausch von Substanz zuzulassen, um die historische Botschaft, die konzeptionelle Idee und das Bild dieser Architektur für die Nachwelt weiterhin erlebbar zu machen.
Georg Skalecki, Arbeitsgruppe Recht und Steuerfragen