Aktuelles
Ressource Kulturerbe
Veröffentlichung: 17.02.2022, letzte Bearbeitung: 17.02.2022
Lesezeit: 9 Minuten
Das Thema Klimaschutz ist in der öffentlichen Wahrnehmung omnipräsent — ein guter Grund für die Denkmalpflege sich in diesem Kontext neu zu positionieren und in die vielschichtigen gesellschaftlichen wie auch fachlichen Diskussionen einzubringen. Der zentrale Ausgangspunkt von zahlreichen denkmalpflegerischen Aktivitäten auf Länder- und Bundesebene sowie in der EU ist, dass Klimaschutz und Denkmalschutz vereinbar sind und die Denkmalpflege, die für langfristige Werterhaltung und Dauerhaftigkeit, lange Nutzungsdauer und ganzheitliche Bewertungsansätze steht, sogar eine Vorbildfunktion für nachhaltiges klimagerechtes Bauen einnehmen kann. Umso wichtiger ist es, dass das europäische Kulturerbe in dem aktuell diskutierten European Green Deal und den entsprechenden Richtlinien zur Energieeffizienz besondere Berücksichtigung findet und auf ihre Relevanz nicht nur für die Kultur‑, sondern auch die Bau- und Klimapolitik hingewiesen wird. Eine kleine Auswahl dieser aktuellen Aktivitäten sollen im Folgenden kurz skizziert werden.
Die OMK Expertengruppe Stärkung (und Nutzung) der Resilienz des Kulturerbes für den Klimawandel, kurz: Kulturerbe und Klimawandel wurde unter der Priorität A Nachhaltigkeit im Kulturerbe im Arbeitsplan des Rates für Kultur 2019–2022 eingerichtet. Sie wird im Frühjahr 2022 in Form eines final report auf Basis einer umfangreichen Material- und Beispielsammlung aus den Mitgliedstaaten Empfehlungen an die EU-Kommission aussprechen und damit eine besondere Aufmerksamkeit für die wichtige Rolle des kulturellen Erbes in den Klimaschutzdebatten erzeugen.
Neben den Auswirkungen des Klimawandels auf das Kulturerbe wird in der OMK Gruppe auch über den Beitrag des Kulturerbes zur Nachhaltigkeit und Verbesserung der Klimaneutralität diskutiert. Es geht um die Stärkung und Nutzung der bestehenden Resilienz des Kulturerbes für den Klimaschutz. Ein vertieftes Verständnis der enormen Gefährdungen des Kulturerbes durch den Klimawandel und der Potenziale des kulturellen Erbes als materielle und ideelle Ressource ist dringend notwendig.
Hierzu soll mit guten Demonstratoren auf bewährte Praktiken zur Verbesserung der Energieeffizienz von historischen Gebäuden unter Berücksichtigung ihrer geschützten Werte und der Qualitätsprinzipien bei den jeweiligen Eingriffen aufmerksam gemacht und auf die potenziellen Risiken, die mit einer Fehlanpassung verbunden sind, hingewiesen werden. Nur auf Basis dieses Wissens können die rechtlichen und finanziellen Regelungen und Unterstützungen sinnvoll und zielgerichtet eingesetzt werden. Der Ansatz muss in den Kontext Green Deal und Renovation Wave gestellt und Handlungsempfehlungen und Vorgaben zur Operationalisierung der Renovierungswelle auf der normativen Ebene eingebracht werden.
Die bestehende Energieeffizienzrichtlinie (EED) und die Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD) wurden 2021 überprüft. Die Vereinigung der Landesdenkmalpfleger (VDL) hat zur Renovation Wave und den Richtlinien wichtige Stellungnahmen formuliert, in denen sowohl auf die ausgezeichnete Bilanz von grauer Energie von Denkmälern hingewiesen und für eine differenzierte Berücksichtigung des Kulturerbes geworben wurde. Notwendige Ausnahmeregelungen für das Kulturerbe in Bezug auf die Pflicht, starre energetische Vorgaben zu erreichen, können dann einen Beitrag zur Energieeffizienz leisten, wenn mit der Überarbeitung dieser beiden Richtlinien für das gesetzlich geschützte Kulturerbe und die sonstige erhaltenswerte Bausubstanz differenzierte Betrachtungen zugelassen werden. Derzeit zeichnet sich zwar ab, dass die Mitgliedstaaten in der Umsetzung der Richtlinien in Bundesgesetze eine Entscheidungskompetenz erhalten, „die Anforderungen für den geschützten Gebäudebestand mit besonderem architektonischen oder historischen Wert anzupassen um Veränderungen ihrer Eigenart oder äußeren Erscheinung zu vermeiden“ (Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden – Neufassung COM (2021)802 final) . Das Ziel, ganzheitliche Ansätze in den Richtlinien zu verankern und den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden zu berücksichtigen, ist aber nicht erreicht worden, insofern bleibt dass bauliche Erbe Europas gefährdet.
Auf Bundesebene muss frühzeitig auf die Berücksichtigung des Kulturerbes bei der Umsetzung der Richtlinien in Bundesgesetze hingewirkt werden.
Als prominenteste Antwort auf den European Green Deal stand 2021 das Positionspapier Cultural Heritage Green Paper von ICOMOS und Europa Nostra.
Als besondere Herausforderung gilt im EU Green Deal und in der Renovation Wave die Steigerung der Energieeffizienzmaßnahmen im europäischen Gebäudesektor. 40 Prozent des europäischen Energieverbrauchs werden vom Gebäudebereich verursacht, der 36 Prozent der energiebedingten Treibhausgasemissionen zur Folge hat. Mit der Renovation Wave for Europe verfolgt die Europäische Kommission eine Strategie, mit der die jährliche Sanierungsrate des europäischen Wohn- und Nichtwohngebäudebestands bis 2030 mindestens verdoppelt werden soll. Das baukulturelle Erbe findet im Green Deal bislang keine explizite Berücksichtigung.
Deshalb hat das Cultural Heritage Green Paper in Bezug auf die Renovation Wave mit einem Themenblock Building Renovation einen besonderen Schwerpunkt gesetzt und mit acht Empfehlungen zum Ausdruck gebracht, dass Cultural Heritage– mit dem ausschließlichen Blick auf die Emissionen — nicht Teil des Problems ist, sondern in einem ganzheitlichen Verständnis vielmehr einen Beitrag zur Lösung leisten kann. „Kulturelles Erbe konzentriert sich nicht nur auf Strukturen, sondern auch auf die Denk- und Verhaltensweisen, die hinter der Art und Weise stehen, wie Menschen Gebäude bauen und nutzen, um deren soziale Funktion, Haltbarkeit und Anpassungsfähigkeit zu verstehen. Es verkörpert bewährte Technologien, die das Produkt ortsangepasster Innovationen sind, die auch heute noch zeitgemäße Lösungen für das Klima bieten. Um erfolgreich zu sein, muss die Renovierungswelle diese kulturellen Dimensionen der gebauten Umwelt mit einbeziehen.“ (European Cultural Heritage Paper, 2021, S. 25)
Die Empfehlungen
- Gesamtenergieeffizienz- differenzierte Betrachtungen Kulturerbe
- Öffentliche Förderung, Kombination Denkmalförderung und Energieeffizienz Subvention
- Mittelaufstockung Denkmalbehörden für Energiekompetenz
- Verknüpfung historischer Berufe mit Renovierungswelle – Aus- und Fortbildung
- adaptive Wiederverwendung historischer Gebäude für bezahlbaren Wohnraum
- Kulturerbe und Baukultur in das erweiterte Forum zum Bauwesen einbeziehen
- Integration des Kulturerbes in das Neue Europäische Bauhaus
richten sich sowohl an politische Entscheidungsträger als auch an Betreiber von Kulturerbe und werden sich auch in dem Abschlussbericht der OMK Expertengruppe widerspiegeln.
Um eine größere politische und öffentliche Aufmerksamkeit zur Relevanz des Kulturerbes in der Klimaschutzdebatte zu erzielen, haben auch das Deutsche Nationalkomitee DNK und die Vereinigung der Landesdenkmalpfleger VdL im letzten und in diesem Jahr erfolgreiche entsprechende Themenschwerpunkte gesetzt. Dazu zählt u.a. die Lobby-Kampagne Denkmalschutz ist aktiver Klimaschutz der VDL, welche sich mit plakativen Thesen in sog. Onepagern im Oktober 2021 an die Koalitionsparteien der neuen Bundesregierung gewandt hat, um für eine Berücksichtigung des Themas im neuen Koalitionsvertrag zu werben.
Das DNK plant in Kooperation mit der VDL am 02./03.Juni 2022 eine Netzwerkveranstaltung unter dem gleichen Titel Denkmalschutz ist aktiver Klimaschutz. Ziel ist es, in Politik und Fachwelt auf die Transferleistungen aus der Denkmalpflege für eine klimagerechte Bauerhaltung und Umbaukultur hinzuweisen, für die gute Koexistenz von klugen Interventionen am Baudenkmal als Beitrag zur Klimaneutralität und die Bewahrung der kulturellen sowie ästhetischen Werte zu sensibilisieren sowie das Netzwerk zwischen Baukultur, Baupolitik und Klimaschutz zu festigen.
Auf Länderebene ist die denkmalgerechte energetische Ertüchtigung von den hochrangigen Baudenkmalen längst ein wichtiger Bestandteil, aber auch eine Herausforderung denkmalpflegerischer Praxis. Für ganzheitliche Bewertungen und kluge Lösungen im Einzelfall ist der Aufbau von Kompetenzen der beteiligten Akteur*innen in Aus- und Fortbildung weiterhin dringend notwendig.
Das gilt gleichermaßen für den Kompetenzaufbau der diversen Berufsgruppen des Bauwesens hinsichtlich der Weiternutzung des gebauten Bestands insgesamt. In Niedersachsen startet das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege unter dem Jahresmotto Ressource.Kulturerbe ein von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördertes Projekt Import/Export – Denkmalpflege und Nachhaltigkeit in der Weiterbildung mit dem die berufliche Weiterbildung auf den Gebieten Denkmalpflege, Bauwerkserhaltung, Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung gestärkt werden soll. Ziel ist es, gemeinsam mit Architekten‑, Handwerks- und Ingenieurkammern, mit lokalen und regionalen Initiativen und überregionalen Partner*innen konkrete Bausteine zu entwickeln, zu erproben und dauerhaft zur Verfügung zu stellen.
Dr.-Ing. Christina Krafczyk
Präsidentin Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege/ Mitglied der Arbeitsgruppe Fachliche Fragen der Denkmalpflege im DNK