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Tagung “Zugang gestalten” 2021
Veröffentlichung: 01.01.2021, letzte Bearbeitung: 01.12.2022
Lesezeit: 7 Minuten
Vom 3.–5. November 2021 fand in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main die Konferenz „Zugang gestalten“ statt. Zu dieser versammeln sich jährlich Kulturschaffende verschiedener Sparten, um sich über aktuelle Themen auszutauschen. Die Tagung wird in Kooperation vieler Partner, unter anderem dem Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz, auf Initiative von Dr. Paul Klimpel und dem Verein iRights organisiert.
2021 widmete sich die Tagung dem „schwierigen Erbe“. Mit kritischem Blick auf die Medialisierung von Fotos, Filmen, Archivgut und Museumsobjekten wurde deutlich, dass beleidigende und propagandistische Inhalte häufig bereits im Netz zu finden sind, während sich Archive und Museen noch mit den ethischen Überlegungen zur Veröffentlichung und den Möglichkeiten der Kommentierung und Kontextualisierung befassen. Daher sollte die Problematik des kommentierten Zugangs schon bei der Erstellung des Digitalisats verhandelt werden, nicht erst mit dessen Bereitstellung. Soll man problematische Fotos, Filme, Zeitungen und Dokumente deshalb in Giftschränke sperren? Einhellig kamen die Tagungsteilnehmer zu dem Schluss, dass der Zugang nicht verhindert werden könne, sondern gestaltet werden müsse. Dr. Ingo Zechner sprach in diesem Zusammenhang von digitalem Kuratieren bzw. von der kuratorischen Intervention. Die Tagung offenbarte, dass die vertretenen Professionen sich grundsätzlich mit den gleichen Fragestellungen befassen. Während Museums- und Archivschaffende jedoch in der Regel noch aktiv darüber entscheiden können, was sie digitalisieren und zudem veröffentlichen, können Denkmalpfleger*innen dieses Regulativ nicht anwenden, denn Denkmale stehen im öffentlichen Raum und sind frei zugänglich.
In einem Panel zur Denkmalpflege ging es daher zunächst um das Phänomen der Wegnahme von provozierenden Inhalten durch Denkmalstürze bspw. in den ehemals sozialistischen Ländern des Ostblocks und die aktuellen Angriffe auf koloniale Denkmale weltweit, eindrucksvoll dargestellt von Prof. Dr. Arnold Bartetzky (Mitglied der AG Öffentlichkeitsarbeit im DNK). Er schilderte diese Aktionen als zivilgesellschaftliche Intervention auf die Top-Down Erfahrungen mit Regierungen und als Abbild der Überwindung alter Systeme, wies aber auch auf die damit verbundene Implementierung neuer Machtansprüche hin.
In Vertiefungsgruppen widmeten sich die Tagungsteilnehmer vor Ort und an den Bildschirmen zu Hause im Folgenden der (stadträumlichen) Wahrnehmung von, und den Vermittlungsmöglichkeiten an Denkmalen. Am Beispiel der Gedenkstätte Börneplatzsynagoge Frankfurt am Main (Sonja Thaeder und Tanja Neumann, MetaHub, Jüdisches Museum Frankfurt am Main) und dem Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg (Florian Dierl) wurden aktive Interventionen und zeitgemäße Zugänge aufgezeigt. Dabei wurde deutlich, dass die Schwierigkeit darin besteht, lebendige Vermittlungsformate umzusetzen und trotz aller Eventkultur den Opfergruppen gerecht zu werden, kurz: ein niedrigschwelliges Angebot zu ermöglichen ohne zu banalisieren.
Partizipation hatten sich gleich zwei Workshops zur Diskussionsgrundlage gemacht. Dr. Friedericke Landau-Donelly und Ulrike Wendland (Geschäftsführerin des DNK) erarbeiteten mit den Tagungsteilnehmer*innen notwendige grundlegende Elemente für Partizipation. Voraussetzung für den Zugang zum Denkmal ist dabei dessen Anwesenheit. Die Anwesenheit ermöglicht die Diskussion um das Denkmal und die dabei aufgezeigten Konflikte führen zur Reflektion. Dieser Prozess benötigt jedoch entsprechende Ressourcen, um produktiv und nachhaltig an dem Gedenkort zu arbeiten. Dieser Umgang führt zu einem mehrfach mit Bedeutung belegtem Erinnerungsort, der auch die verschiedenen Zugänge zum Thema aufweist.
Dass Kunst dabei ein Türöffner sein kann zeigte der Workshop mit Ellen Blumenstein (Imagine the City) und dem Künstlerduo Various & Gould (Monumental Shadows). Durch künstlerische Intervention werden Sehgewohnheiten aufgebrochen und Missverhältnisse deutlich. Die vielen künstlerischen Mittel geben dabei mannigfache Zugänge frei und erlauben die Beteiligung von Betroffenengruppen. Eine spontane Reaktion auf Kunst ermöglicht auch die weitere Kommunikation mit dem Betrachter. Um diese Aufgaben zu erfüllen müsste Kunst langfristig in die Stadtentwicklung eingebunden werden und die Kommentierung von Denkmalen dauerhaft und verhältnismäßig sein. Gerade bei sehr raumgreifenden Denkmalen stellt sich die Frage, in welcher Form eine Kommentierung Sinn macht und ob diese überhaupt die Monumentalität brechen kann oder ob das Denkmal nicht doch, wenn nicht weggeräumt so doch wenigstens als Landmarke gefällt werden müsste.
Großgefüge im Stadtraum stellen die Denkmalpflege regelmäßig vor Herausforderungen, so auch ehemalige Bunkeranlagen. Diese verlieren bei der Umnutzung oftmals ihre typischen Eigenschaften und Erkennungsmerkmale. An Beispielen aus Frankfurt (Dr. Stefan Timpe) und Hamburg (Kristina Sassenscheidt, Mitglied der AG Denkmalvermittlung im DNK) wurde aufgezeigt, wie es gelingen kann solche Objekte stadträumlich einzubinden und trotzdem die Bedeutung dieser Anlagen erfahrbar zu erhalten.
Graphic-Recordings zu den Workshops
Aufgrund der aktuellen Ereignisse im Kulturbetrieb stand neben den nationalsozialistischen Hinterlassenschaften der Kolonialismus im Mittelpunkt der Debatten. Für den Bereich der Museen stellte Prof. Dr. Markus Hilgert (Mitglied der AG Denkmalvermittlung im DNK) die „3‑Wege-Strategie” von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden zum Umgang mit kolonialem Erbe vor. Zentrales Ziel hierbei sei es, den eurozentristischen Ansatz zu brechen. Christopher Nixon (Kurator für koloniale Vergangenheit und postkoloniale Gegenwart in der Stiftung Historische Museen Hamburg) ging weiter und forderte einen Paradigmenwechsel in der bürgerlich geprägten Museumsstruktur. Auch in den Universitäten sei ein postkolonialer Diskurs lange noch nicht angekommen.
Für das archäologische Erbe beschrieb Prof. Dr. Friederike Fless vom DAI eindrucksvoll, wie indigene Kulturdenkmale und archäologische Fundstätten durch die „Selfiesucht“ und durch Sondengänger bedroht werden. Der Übernutzung von Welterbestätten hat man nicht viel entgegen zu setzen, außer einer Zugangsbeschränkung. Sondeln kann man durch die ungenaue Angabe von Koordinaten der Fundorte vorbeugen. Um indigenen Völkern die Hoheit über ihre Daten (zurück) zu geben haben sich Vereinigungen in der GIDA zusammengeschlossen.
Die Tagung leistete einen Beitrag zur öffentlichen Auseinandersetzung in unserer humanistischen Gesellschaft, die von Vielfalt und Toleranz geprägt ist. Allerdings ist noch viel zu tun: Vielfalt und Diversität unserer Gesellschaft sind noch nicht ausreichend in den Institutionen abgebildet und Partizipation ist strukturell kaum verankert, so dass es weiterhin auch auf das Engagement Einzelner ankommt, sollen Themen von Minderheiten gesamtgesellschaftlich berücksichtigt werden.
Corinna Tell (Geschäftsstelle des DNK)